Assistenzsegeln in Rerik


Das Ostseebad Rerik ist zwischen Salzhaff und Ostsee 14 km westlich von Kühlungsborn gelegen. Einen Bahnhof gibt es hier leider nicht, man erreicht den Ort mit dem Bus von Bad Doberan bzw. von Neubukow aus, welche beide auf der Bahnstrecke Rostock-Wismar liegen. Das 2400 Seelenstädtchen hat vieles zu bieten: schöne Natur, es gibt keine großen Hotelanlagen, eine kleine aber feine Promenade, Ausflugsmöglichkeiten in der näheren Umgebung, jede Menge Boote, einen Fahrradverleih mit einem Tandem im Angebot, Einkaufsmöglichkeiten und eine große Auswahl an Restaurants. Nur feinen Sandstrand sucht man hier vergebens. Dafür gibt es zwei Hundestrände (einen links der Seebrücke kurz vor der gesperrten Zufahrt zur Halbinsel Wustrow) und einen an der Steilküste. Nach Aussage der Kurverwaltung, welche gleichzeitig als Touristinformation fungiert, gibt es keine speziellen Angebote für blinde und sehbehinderte Urlauber.

Das Salzhaff, welches ein Teil der Wismarbucht ist, bietet sich zum Surfen und Segeln geradezu an. Hier befindet sich auch die Segelschule von Torsten Chudzik, einem Einheimischen, der seit 25 Jahren als Segellehrer unterrichtet. Für diese Saison liegt bei ihm ein Trimaran am Steg, welchen wir unbedingt ausprobieren wollen: Denn dieser „Combi-Tri“ wurde am 5. Mai 2011 als Sieger des Wettbewerbs „Barrierefreier Tourismus für alle in Mecklenburg Vorpommern“ im Bereich Innovation ausgezeichnet, welcher vom Tourismusverband MV und dem Servicebüro für Barrierefreien Tourismus in Rostock 2011 erstmalig durchgeführt worden ist. Ursprünglich wurde dieser Trimaran für Rollstuhlnutzer und anderweitig körperbehinderte Segler konzipiert. So wurde z. B. ein Mittelsitz entwickelt, welcher in den Mittelrumpf eingebaut werden kann. Das Rollsegel ist einfach zu handhaben. Durch die beiden Ausleger, welche den Mittelrumpf mit den beiden Stützrümpfen verbinden, erhält das Sportboot eine große Stabilität und vermittelt einem so ein gewisses Sicherheitsgefühl. Torsten empfängt uns herzlich und überreicht uns die Ölkleidung, welche ein Nass werden unserer Kleidung verhindern soll. „Ihr habt ein ordentliches Windchen mitgebracht“ meint der 45jährige lächelnd. Für uns fühlt sich die Windstärke 6 eher wie ein Sturm an. Obwohl es bereits Ende Mai ist, ist es ganz schön frisch in Rerik, deshalb ziehen wir dankbar die wasserfeste Latzhose und die -Jacke über unsere normale Kleidung. Nun wir sahen sicherlich schon besser aus! Die Kleidung ist kunterbunt, damit man bei einem Notfall schnell im Wasser ausgemacht und wieder an Bord gehievt werden kann. Dann noch die Schwimmwesten darüber und los geht’s! Von Anfang an vermittelt uns Torsten das Gefühl, alles im Griff zu haben und genau zu wissen, was zu tun ist. Wir machen es uns jeder auf einem der beiden Trampoline der Seitenrümpfe bequem und lassen die Beine in den Mittelrumpf baumeln, wo jetzt kein Sitz eingebaut ist. Zunächst lassen wir erstmal die Bewegungen des kleinen Bootes auf uns wirken und versuchen zu erspüren, aus welcher Richtung der starke Wind weht. Die 60 cm hohen Wellen überspülen das Segelboot, wenn wir in eine Böe kommen. Die Segelfläche ist heute nur halb entrollt, weil der Wind zu stark ist, erklärt uns der Segellehrer. Inzwischen sind unsere Schuhe durchgeweicht, beim nächsten Törn werden wir sie deshalb lieber an Land lassen oder an Bord an einem trockenen Plätzchen verstauen. Doch nur um mitzusegeln sind wir nicht nach Rerik gekommen – so etwas kann man schließlich überall an der Ostsee erleben – wir wollen selber Hand anlegen. So drückt Torsten einem von uns die Verlängerung der Ruderpinne in die Hand, welche ähnlich wie ein menschliches Kniegelenk funktioniert, was gebeugt und gestreckt werden kann. Er erklärt uns, was beim „Anluven“ und beim „Abfallen“ zu tun ist und wir probieren mit seiner Hilfe Wende und Halse aus. Das Segel, welches nur am drehbaren, frei stehenden Mast und an einem Seil befestigt ist, hat Torsten entweder in der Hand oder es ist fixiert. Ist der Trimaran auch ostseetauglich? wollen wir wissen. „Bei guten Bedingungen und der richtigen Windrichtung kann man auch auf der Ostsee segeln“, so die Expertenmeinung. „Ich habe ihn im Salzhaff bereits erfolgreich bis Windstärke 7 getestet.“ Torsten gibt Jana, die nicht erkennen kann wo sie hinsegelt, ständig Kommandos, wie die Ruderpinne zu bewegen ist. Mario, der sehbehindert ist, wird von ihm auf verschiedene Orientierungspunkte im Wasser und an Land aufmerksam gemacht, welche sich in unterschiedlicher Entfernung zum Boot befinden. So kann er herausfinden, was Mario noch erkennen kann und somit einschätzen, in wie weit er den Trimaran selbständig zu steuern vermag. Das Steuern mit der Ruderpinnenverlängerung ist kinderleicht und, im Gegensatz zum steuern einer Jolle, nicht kraftaufwändig. Torsten, der derweil fröhlich plaudert, greift sofort ein, wenn wir vom Kurs abkommen. Da wir insgesamt nur zweimal segeln können, kommen wir leider nicht mehr dazu, den Umgang mit dem Segel zu erlernen. Das ist ein bisschen schade, aber trotzdem war das Segeln auf dem „Combi-Tri“ für uns beide eine tolle Erfahrung, die wir unbedingt wiederholen und ausbauen wollen. Bis dahin gilt es aber erstmal, ein bisschen Seglerlatain zu lernen.

Adressen: Segelschule Torsten Chudzik, Am Haffplatz 7, 18230 Rerik, www.segelschule-rerik.de Fahrradverleih Zweiradhaus Drygall, Am Parkplatz 7c, 18230 Rerik www.combi-tri.de

Jana steuert den Trimaran. Der Combi-Tri ist von vorn zu sehen.
Foto: Trimaran von vorn
Der Trimaran "Combi-Tri" wird von Jana und Torsten sicher vom Salzhaff nach Rerik gebracht. Der Trimaran ist hier schräg von vorn zu sehen.
Foto: Trimaran "Combi-Tri" kommt vom Salzhaff nach Rerik
Der Combi-Tri von der Seite. Das zu einem Drittel entrollte Segel ist gut zu erkennen. Außerdem die Seitenschwimmer des Trimarans, die sich leicht aus dem Wasser heben. Jana steuert den Trimaran auch auf diesem Bild.
Foto: Combi-Tri von der Seite
Der Combi-Tri fährt in den Hafen von Rerik. Jana hat dabei die Ruderpinne fest in der Hand. Im Hintergrund sieht man die Silhouette Reriks.
Foto: Combi-Tri fährt in den Hafen von Rerik

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