Ende Oktober machten wir uns für 3 Tage auf in die Landeshauptstadt Sachsen-anhalts. Der Magdeburger Hauptbahnhof ist mit Leitsystemen, darunter auch ein aufgeklebter Leitstreifen, ausgestattet. Hier konnten wir zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Gästeinformationssystem inklusive Nummernziehen machen, wobei man sich durchaus um Zugänglichkeit bemüht hat. Vom Bahnhof aus sind es nur etwa 100 Meter bis zur Ernst-Rheuter-Allee, von wo aus Straßenbahnen in Richtung Innenstadt fahren. Um zu unserem Hotel zu gelangen, mussten wir nur zwei Stationen fahren und an der Haltestelle „Zollhaus“ aussteigen. Dann folgte noch ein 2 km langer Spaziergang durch den Rotehornpark, welcher sich auf der Elbinsel Werder befindet und mit 200 Hektar der größte Stadtpark Magdeburgs ist. In der Altstadt konnten sich unsere Füße über glatte Gehwege freuen. Alles ist großzügig und breit angelegt, so dass es niemals voll oder gar stressig wurde. An allen Kreuzungen tackern und tuten Ampeln. Die Haltestelle nach der am Bahnhof heißt „Allee-Center“. Zwischen Bahnhof und Allee-Center lassen sich mindestens 3 Einkaufscenter erobern und sämtliche Sehenswürdigkeiten der Innenstadt erschließen. Diese reihen sich entlang des Breiten Wegs, welcher die Fritz-Rheuter-Allee kreuzt, hübsch aneinander. So findet man alleine auf einer Seite des Breiten Wegs in der ersten bis zur dritten reihe das Allee-Center, das romanische Kloster Unser lieben Frauen, das Modell der Heilige-Geist-Kirche, die Grüne Zitadelle, den 800 Jahre alten Dom und das Altstadtmodell von Egbert Broerken. Dem Allee-Center gegenüber, in zweiter Reihe neben der Ernst-Rheuter-Allee, findet man das Modell der Ullrichskirche. Das es diese Tastobjekte gibt und deren Standorte haben wir auf DATABUS recherchiert. Überquert man vor dem Alle-center die Fritz-Rheuter-Allee, so befindet sich in zweiter Reihe der Marktplatz mit dem Alten Rathaus. Dessen melodisches Glockenspiel, bestehend aus 47 Bronzeglocken aus Apolda, schmeichelt dem Gehör. Die Teilnahme an einer Führung durch die Grüne Zitadelle war für uns das absolute Highlight:
Dieser rosa verputzte, burgähnliche Bau aus 2005 wurde von Friedensreich Hundertwasser geplant. Für den Entwurf und die Planung wurden 7 Jahre benötigt, für den Bau 2 Jahre. Der Künstler, der sich auch Regentag und Dunkelbund nannte, entwarf für diesen Neubau 859 verschiedene bzw. verschieden gestaltete Tanzende Fenster. 150 farbenfrohe Keramiksäulen, davon jede ein Unikat, wurden einzeln von ihm gezeichnet. Diese kleinen Kunstwerke, die man natürlich auch gut betasten kann, umhüllen und verschönern die Betonstützen.
Im zehnstöckigen Gebäude befinden sich 55 Mietwohnungen zwischen 55 und 148 Quadratmetern, wobei jede eine anderen Grundriss aufweist. Gemeinsam sollten ihnen nur die runden Ecken und die verschieden geformten, kunterbunten Fließen sein. Die Fensterrahmen sind grundsätzlich dunkel, jeder Fenstergriff anders gestaltet. Die Stufen im Treppenhaus sind gewollt ausgetreten, jede Wohnungstür sieht anders aus. Um einen Farbkoller zu vermeiden, sind die Wände in den Treppenhäusern weiß gestrichen. Zinnen, Zwiebeltürmchen und goldene Kugeln schmücken das Dach. Die mit einer dünnen Platinschicht überzogenen Kugeln sind Symbole für Sonne und Licht. Es gibt zwei begrünte Innenhöfe, auf einem plätschert ein Springbrunnen.
In den beiden unteren Etagen befinden sich kleine Läden, ein Kindergarten, ein Theater, Arzt- und Rechtsanwaltpraxen sowie ein Hotel. Die Pflasterung der Innenhöfe ist keineswegs gerade, sie soll im Gegenteil an Waldboden erinnern und ist deshalb wellig. Überhaupt sucht man hier gerade Linien vergebens, da diese nur für Maschinen und nicht für Menschen gut sind. Dafür sind reichlich Kugeln, auch aus Beton, und Spiralformen zu bestaunen, wie u. a. am Wohnturm.
In der Tiefgarage des Gebäudekomplexes stehen 121 Parkplätze zur Verfügung. Eben so viele, von Schülern aus Magdeburg und Dessau entworfene und aufgeklebte Mosaike aus Bruchfließenstücken, jedes davon ist einzigartig, sollen den Autobesitzern als Orientierungshilfe dienen. Die Parkplatzbegrenzungen wirken zwar gerade, sind jedoch freihändig gezogen.
Der Maler, Grafiker und Umweltschützer erschuf mit der Grünen Zitadelle ein leuchtendes Beispiel für Stadtökologie. Weil die Bauten der Menschen der Natur Fläche wegnehmen, will er diese zurück geben. Deshalb wurde auf das Dach eine Gummifolie aufgebracht, worauf sich eine bis zu 3,80 Meter dicke Schicht aus Pflanzensubstrat befindet. Darauf wurden 170 flach wurzelnde Obst- und Laubbäume, 350 Büsche und 10.000 Blumenzwiebeln gepflanzt. Zusätzlich gehören zu allen Wohnungen kleine Gartengrundstücke bzw. Rasenflächen oder zumindest Balkone, damit die Bewohner immer ins Grüne treten können, wenn sie Lust dazu verspüren. Wer nur einen Balkon sein Eigen nennt, kann allerdings einen Gemeinschaftsgarten nutzen. Die Grundstücke schließen sich jeweils an die Wohnzimmer an und können nach Geschmack bewirtschaftet oder auch nicht bewirtschaftet werden.
Zu 13 Wohnungen gehört ein hölzerner Untermieter. Der Mieter einer solchen Wohnung ist dazu verpflichtet, sein Bäumchen zu gießen, es zu hegen und zu pflegen. Im Gegenzug spenden dessen Blätter ihm Schatten; Staub, Lärm und Schmutz werden vom Baum geschluckt. Solch ein Baum steht dann in einer mit Fenstern ausgestatteten Einbuchtung des Wohnzimmers. Bepflanzt sind übrigens auch die Zwiebeltürmchen.
Leider hat der Autodidakt Hundertwasser den Bau und die Fertigstellung seiner Zitadelle nicht mehr erlebt. Der „Architekturdoktor“, der den Gebäuden wieder Leben einhauchen wollte, starb 2000 im Alter von 72 Jahren.
Die einstündige Führung begann und endete vor der Information der Grünen Zitadelle gegenüber des Springbrunnens. In dessen Räumlichkeiten steht ein maßstabgerechtes, detailgetreues Modell der Grünen Zitadelle. Dieses ist allerdings hinter Glas verborgen, kann zwar umlaufen aber nicht angefasst werden. Die architektonische Form der Festung kann man statt dessen am Bronzemodell der Altstadt nachempfinden.